Die neue Willkommenskommunität in Essen:
Das Abuna – Frans – Haus
Zwei Monate nach seiner Wahl reiste Papst Franziskus zur Mittelmeerinsel Lampedusa, um dort Flüchtlinge zu besuchen. Bei dieser ersten Auslandsreise im Juni 2014 ermahnte er uns Europäer nicht der Ignoranz und Apathie zu verfallen. Mit jedem Flüchtling, der im Mittelmeer ertrinkt, stirbt einer unserer Brüder und Schwestern. Wir Europäer uns der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Die Werte des Christentums kosten Geld und brauchen den personellen Einsatz, Zeit und Energie. Sie zeigen, wie wertvoll jeder einzelne Mensch ist. Jede Ordensgemeinschaft und jede Pfarrgemeinde soll laut Franziskus Häuser finden, wo Notleidende aufgenommen werden. In der Schweiz hat die Schwesterngemeinschaft der Frohbotinnen ihr Mutterhaus in Batschuns Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Sie selbst sind in die Nachbarschaft gezogen. In der jesuitischen Kurie in Rom wurden Räume für Obdachlose freigeräumt und im Vatikan können sie duschen. In einigen Kirchengemeindehäusern in Essen finden Flüchtlinge eine Herberge.
Wir freuen uns, dass viele mit uns überlegen, wie der Schutz- und Lebensraum für Flüchtlinge gut gestaltet werden kann. Wir lesen in der Bibel: „Liebe den Fremden, wie dich selbst (Lev 19,34).“ „Was ihr dem Geringsten tut, das habt ihr mir getan (Mt 25).“ Die Not der Menschen ist die Not Jesu. Die Suche der Flüchtlinge nach einem Dach über dem Kopf ist seine Suche. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zitierte 2016 in seiner Fronleichnamspredigt Papst Paul VI, nach dem es das Gleiche ist, Jesus im Armen und in der Eucharistie zu finden.
Angeregt durch die Botschaft der Bibel, durch Papst Franziskus und die guten Beispiele, planen wir Jesuiten seit langem eine „Willkommenskommunität“. Wir wollen mit ca. acht Flüchtlingen unter einem Dach leben. Jeder Hausbewohner soll dabei ein eigenes Zimmer haben. Im gemeinsamen Speisesaal und der angrenzenden Küche soll das Leben der Gemeinschaft stattfinden.
Seit dem Dezember 2015 sind wir mit dem Bistum Essen in Kontakt. Im März 2016 wurden verschiedene Vorschläge besprochen, ohne dass sich daraus etwas Festes ergeben hätte. Anfang Juni 2016 wurde das alte Pfarrhaus in der Frohnhauser Str. 400 zum ersten Mal von uns aus in den Blick genommen. Anfang September entschieden das Bistum und der Kirchenvorstand der Pfarrei St. Antonius das Haus für die Flüchtlinge umzubauen und zu renovieren. Anfang Mai zogen die ersten Flüchtlinge ein.
Wir, P. Lutz Müller SJ und P. Ludger Hillebrand SJ, starteten das Ordensprojekt zu zweit und leben seit Anfang September in Essen, um in der Pastoral des Bistums und der Pfarrei St. Antonius mitzuarbeiten. Wir sind im Kontakt mit der Caritas und der Diakonie, Pro Asyl, dem stadtweiten Runden Tisch für die Flüchtlingsinitiativen und weiteren Kreisen und Personen, die sich um Geflüchtete kümmern. Das Bistum Essen unterstützt unsere Initiative mit den Flüchtlingen durch gemeinsame Beratungs- und Planungsprozesse, durch die Vermittlung von Kontakten und durch zwei 2/3 Gehälter für die pastorale Arbeit im Bistum und das Zusammenwohnen mit den Geflüchteten.
Das Projekt trägt den Namen „Abuna – Frans – Haus“ und hat seinen Ort unter dem Dach des Jesuitenflüchtlingsdienstes. „Abuna“ ist die arabische Bezeichnung für „unser Pater“. „Abuna Frans“, sagten Syrer zu Pater Frans van der Lugt SJ. Er wurde 1938 in Den Haag geboren und lebte seit 1966 in Syrien. Damit sich die verschiedenen Religionen und Konfessionen von Muslimen und Christen besser kennen lernen, betete er mit ihnen und ging mit ihnen wandern. Als die Stadt Homs von Regierungstruppen umzingelt wurde, verließ er sie nicht, obwohl er damit wohl der einzige Europäer war, der noch in der Stadt verblieb. Er bekannte: „Ich kann meine Herde doch nicht verlassen!“ Mit Videobotschaften an die Welt bat er um Hilfe für die hungernde Bevölkerung. Mittels der UNO kamen schließlich 1400 Notleidende aus der Stadt frei. Frans van der Lugt SJ blieb bei den weiterhin Eingeschlossenen. Am 7. April 2014 wurde er von Unbekannten aus seiner Wohnung in Homs gezerrt und erschossen. Papst Franziskus in Rom und Menschen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen in Syrien erzählten danach vom Leben und Sterben dieses Mannes des Friedens. Sein Engagement der Völkerverständigung bewegt weiterhin Muslime und Christen zum Brücken bauen. Wir zwei Jesuiten wollen in Essen eine Wohngemeinschaft mit seinem Namen und seinen Ideen gründen.
Die Bezeichnung „Haus“ macht klar, dass es sich bei der Wohngemeinschaft um etwas unspektakulär Normales handelt. Man isst und trinkt, organisiert das Putzen und Kochen, und kommt täglich von verschiedenen Arbeits- und Lernorten aus der Stadt zusammen. Für das Leben unter einem Dach versucht man Kompromisse zu finden.
Wen wollen wir in unserem Haus aufnehmen? Die Caritas von Essen bittet uns, junge Erwachsene aus Jugendeinrichtungen aufzunehmen. Bis Flüchtlinge 18 Jahre alt sind, bekommen sie normalerweise eine gute Betreuung. Manche sind nach der Volljährigkeit selbständig, andere noch nicht. Ein geschützterer persönlicher Rahmen kann ihnen helfen, ihr Leben besser in den Griff zu bekommen.
Es geht uns darum Menschen aufzunehmen, die um ihren Aufenthalt ringen. In der Wohngemeinschaft sollen ihre Nöte gelindert werden. Wenn ihre aufenthaltsrechtliche Situation klar ist, sie sich gut deutsch verständigen können, wenn ihre Sorgen um die Freunde und Verwandten auf der Flucht nicht mehr erdrückend sind, wenn die Schritte der Integration, die Suche nach einer guten Ausbildung und das Finden eines Arbeitsplatzes erfolgreich waren, möchten wir sie ermutigen eine eigene Wohnung zu finden.
Wir wünschen uns ein Haus, in dem Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen, Religionen und Konfessionen lernen, miteinander zu leben. Bevor jemand bei uns einzieht, wollen wir ihm die Lebensordnung des Hauses erklären. Wer mit uns unter unserem Dach leben möchte, erklärt sich dazu bereit im Haus beim Kochen und Putzen mitzuarbeiten und beim wöchentlichen Gemeinschaftsabend dabei zu sein.
Wer als Muslim nicht tolerieren kann, dass der andere Muslim den Ramadan zu einem anderen Zeitpunkt beginnt; Wer nicht akzeptieren kann, dass Christen Gebete mit einem Kreuzzeichen umrahmen; Wer als Christ massive Ängste vor Muslimen hat; wird wohl kaum zu uns ziehen können. Es braucht den Willen und die Fähigkeit zur Toleranz und zum Respekt vor dem Anderen in einem Mehrnationenhaus. Wie in jeder Wohngemeinschaft werden die Probleme aber vermutlich eher auf einer anderen Ebene liegen: „Warum sind die seit langem abgelaufenen Lebensmittel noch im Kühlschrank?“ „Ich habe keine Lust mehr morgens erst mal Tassen und Teller sauber machen zu müssen, bevor ich essen kann!“
Wir Jesuiten treffen uns regelmäßig, um über die Hausbewohner zu sprechen: Was braucht es an aufenthaltsrechtlicher Beratung? Wie geht es mit der Ausbildung? Gibt es Rückkehrperspektiven für die Heimat? Sicher brauchen wir die Hilfe von Sozialarbeitern und Flüchtlingsgruppen, um das Zusammenleben mit den Flüchtlingen zu gestalten. Supervisionen, geistliche Begleitung und Unterscheidung der Geister werden uns helfen.
Wir werden vieles probieren und entdecken, was Kulturen und Religionen eint. Wir werden auf dem Weg sicher auch manches erfahren, was in der Gemeinschaft nicht ankommt. Über das gemeinsame Kochen und Putzen hinaus, bei dem sicher manche Gespräche entstehen, möchten wir versuchen Projekte von uns Hausbewohnern und engagierten Menschen zu finden, die uns mit der Stadt Essen verbinden. Vorstellbar ist da vieles: Sport, Musik, Gottesdienste, Stadtteilarbeit, Gartenpflege, Pfarrfeste, Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit, Straßenreinigung, Obdachlosenbetreuung, Besuche im Altenheim und … .
Wir freuen uns über die Unterstützung unseres kleinen Projektes und über unzählige Menschen, die Flüchtlingen an vielen Orten helfen. Papst Franziskus ruft uns auf statt der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ eine „Kultur der Begegnung“ zu schaffen. Mit Menschen guten Willens und engagierten Christen können wir manches Leid unserer Welt lindern und den Reichtum der verschiedenen Kulturen genießen.
Erstes Weihnachten im Abuna-Frans-Haus. Krippe und Tanne in der Küche.
Weitere Informationen zum Abuna-Frans-Haus
- www.abuna-frans-haus.org
- Pater Lutz Müller SJ und Pater Ludger Hillebrand SJ – Frohnhauser Str. 400, 45144 Essen.
Pater Lutz Müller
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