Erstes Weihnachten im Abuna-Frans-Haus. Krippe und Tanne in der Küche.
Essen. Ein geschmückter Tannenbaum ziert die Küche im „Abuna-Frans-Haus“ in Essen-Frohnhausen. Seit Mai leiten die Jesuiten Ludger Hillebrand SJ und Lutz Müller SJ im renovierten Pfarrhaus ein Wohnprojekt mit Flüchtlingen. Die Männer-WG feiert nun das erste gemeinsame Weihnachtsfest, Christen und Muslime friedlich vereint.
„Unsere ersten Bewohner zogen Anfang Mai bei uns ein. Einer von ihnen, ein Syrer war einem Miethai zum Opfer gefallen. Die Wände seines dortigen Zimmers waren verschimmelt, das Fenster undicht, und die Wohnung roch nach Abwasser. In seiner Not schlief er bei Freunden und Bekannten und war froh von uns aufgenommen zu werden,“ berichtet Pater Müller. Aus Gemeinschaftsunterkünften in Essen in ein eigenes Zimmer zu kommen, ist für die in Deutschland Gestrandeten eine große Erleichterung. Doch das jüngste Projekt des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS (Jesuit Refugee Service) will mehr: Die Geistlichen, die Ende 2016 aus Berlin und Mannheim an die Ruhr gekommen sind, sehen sich auch als Kulturvermittler. „Der Weihnachtsbaum gehört dazu!“, sagt Müller und hängt eine rote Kugel in die Zweige. Alle sechs Bewohner kennen den Brauch. „Nur mit dem Adventskranz konnten sie zunächst nichts anfangen“, fügt er hinzu.
Als „Herbergseltern“ sind die Jesuiten erste Anlaufstelle für alle Sorgen und Probleme. Das geht vom Ausfüllen des GEZ-Antrages übers „Übersetzen“ behördlicher Schreiben bis hin zu praktischen Verhaltensfragen. „Einer war ganz geschockt, als er seine erste Gehaltsab-rechnung in Händen hielt. Dass die Krankenkasse so viel Geld einbehält, konnte er nicht glauben!“, erinnert sich Hillebrand. Dann erzählt er von einem Abend, an dem einer der Flüchtlinge ihm fast eine Stunde sein Herz ausschüttete. „Er sprach die ganze Zeit Arabisch. Ich habe nicht verstanden, um was es ging. Doch das war nicht schlimm. Er brauchte einfach dringend jemanden, der ihm zuhörte und das Gefühl gab, nicht allein zu sein!“ Der Krieg in ihrer Heimat hat die sechs Flüchtlinge traumatisiert. „Alle!“, sagt Müller. Aber nicht jeder hat professionelle Hilfe gesucht. Regelmäßige Nahrung, fließendes Wasser und Strom wissen die Männer zu schätzen, da sie in ihrer Heimat und auf der Flucht viel Not erlebt haben. Für ihre Unterkunft wird von der Stadt Essen Miete gezahlt, sofern sie noch keine Arbeit haben. Zwei der Zimmer sind spendenfinanziert und geben den Jesuiten so die Möglichkeit, Härtefällen zu helfen.
Zum ersten Weihnachtsfest im Abuna-Frans-Haus haben die Patres bei den Jugendlichen der KJG eine Tanne besorgt, die bei unserem Besuch geschmückt wurde. Zur Gemeinde St. Elisabeth und der Pfarrei St. Antonius haben sie ein gutes Verhältnis. „Die Hilfs- und Spendenbereitschaft war sehr groß!“, betont Müller. Dafür seien sie sehr dankbar. „Jetzt wollen die Leute wissen, mit wem und wie wir hier leben.“
„Einer unserer drei Syrer ist Katholik, seine Landsleute Moslems. Der Kongolese ist evangelikaler Christ und besucht regelmäßig eine Freikirche. Alle Bewohner lernen Deutsch. Untereinander verständigt man sich auf Französisch oder Arabisch. „Deutsch als Sprache des Hauses ist ein Fernziel“, so Müller. Drei der sechs Männer zwischen 20 und 60 Jahren haben eine Arbeit gefunden. Das Bildungsniveau reicht von vier Jahren Grundschule bis zum Uni-Abschluss. Der Bauingenieur arbeitet schon wieder in seinem Beruf. Einer hat Arbeit in einem Schnellrestaurant, ein anderer ist Servicekraft bei einem Caterer. Desillusioniert und voller Heimweh ist ein Syrer. Müller: „Er dachte, er sei als Schneider gut auf Deutschland vorbereitet. Er hatte viele Jahre auf an deutschen Maschinen gearbeitet. Das Fabrikat kannte hier aber niemand. Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass es sich um eine Marke aus der ehemaligen DDR handelte.“ Der Traum vom besseren Leben in Deutschland ist jäh geplatzt. Jetzt hoffe dieser Bewohner, so bald wie möglich in seine Heimat zurückkehren zu können.
Guinea, Kongo, Syrien oder Libanon: Gewalt und Krieg verfolgen die Flüchtlinge in Echtzeit und überschatten den Neuanfang. Smartphones verbinden sie mit Freunden und Familie und übermitteln aktuelle Nachrichten, Bilder und Filme: Gräueltaten in den Herkunftsländern rauben den Bewohnern oft den Schlaf. Die „bunte Mischung“ fordert die Patres immer wieder heraus. Sie sind gespannt auf die weitere Entwicklung. „Zwei Zimmer sind noch frei in unserer WG“, sagt Hillebrand. Sozialarbeiter aus Essen schlagen Kandidaten vor. Es gibt Regeln, an die sich alle halten müssen. So sind Gäste über Nacht nicht erlaubt, nur Männer dürfen einziehen, es darf nicht im Haus geraucht werden. „Fürs Putzen und Einkaufen machen wir einen Plan, alle müssen mithelfen“, sagt Müller. Jeden Dienstag setzt man sich zum Hausabend zusammen. Hier werden auch Probleme besprochen. Wenn etwas nicht gut geklappt habe, gebe es Kritik.
(gestrichen, der Nachmittag fand nicht statt) „Religion ist hier kein Streitpunkt“, sagt Müller. Jeder toleriert den Glauben es anderen, keiner soll missioniert werden. Aber dass sie so wenig nach Gott gefragt werden, wundert die Geistlichen schon. „Abuna“ bedeutet „Pater“ auf Arabisch. „Frans“ lautete der Vorname des niederländischen Jesuiten van der Lugt. Der Ordensmann hatte sein Leben dem Dialog der Religionen gewidmet. In Homs in Syrien leitete er ein Begegnungszentrum für Christen und Muslime. Am 7. April 2014 war er vor der Ordensniederlassung von einem Terroristen erschossen worden. In Essen möchte man versuchen, seinem Ideal zu folgen. Sein größter Wunsch, Christen und Muslime friedlich nebeneinander, scheint hier erfüllt.
Die Krippe wird am 24.12. aufgebaut. Zu Heiligabend lassen Wachskerzen am Baum das Pfarrhaus erstrahlen. Müller: „Wir lesen die Weihnachtsgeschichte vor, die aus der Bibel sowie die Fassung aus dem Koran.“ Die Erzählung der Geburt Christi ist bei den Moslems sehr viel schlichter: kein Stern, kein Stall. Der Anfang ist gleich, ein Engel verkündet Marjam die Niederkunft. Jesus, der im Koran Issa, kommt an einen fernen Ort, am Stamm einer Palme zur Welt. Danach kehrt Marjam mit dem Kind in ihr Dorf zurück. Und Issa verkündet, dass er Allahs Diener sei.
Asgard Dierichs
Infokasten:
Die Jesuiten sind die „schlauen Jungs“ der katholischen Kirche. Zumindest wird ihr Ordenskürzel SJ bisweilen scherzhaft so übersetzt. Wahr daran ist jedenfalls, dass der weltweit größte Männerorden die meisten katholischen Intellektuellen vorzuweisen hat. Das liegt nicht nur an der anspruchsvollen akademischen Ausbildung im Orden, die allein zehn Jahre dauert. Philosophie und Theologie müssen alle machen. Aber die Jesuiten haben auch Rechtsanwälte, Biologen, Astrophysiker und Psychiater in ihren Reihen.